Das Coronavirus hat große Teile des deutschen Einzelhandels in eine existenzbedrohende Krise gestürzt. Auch mit dem offiziell eingeläuteten Ende des bundesweiten Shutdowns sind die Herausforderungen für die stationär-geprägte Handelslandschaft keineswegs vorbei. Händler werden über Monate mit „Konsumquarantäne“ rechnen müssen, hinzu kommen Umsatzverwerfungen durch neue Verhaltens- und Kaufverhaltensmuster.
Für das Jahr 2020 werden damit – je nach Szenario und Subsegment – bis zu 30% Umsatzverlust gegenüber 2019 erwartet und auch langfristig ist fraglich, ob der stationäre Konsum in manchen Kategorien jemals wieder das Vorkrisenniveau erreichen wird. Eine deutliche Reduzierung des stationären Flächenangebots erscheint unausweichlich, ein spürbarer Shake-out in der deutschen Handelslandschaft wird zumindest erwartet.
Diese apokalyptisch anmutenden Aussichten lassen Überlegungen nach Investments im Handel zunächst absurd erscheinen. Dennoch könnte der deutsche Einzelhandel in den Augen professioneller Investoren wieder an Attraktivität gewinnen, da sich gerade durch die Krise Wachstumschancen ergeben können, die in den Jahren zuvor vielfach gefehlt haben.
Interesse verloren
In den letzten Jahren blieb die reine Anzahl an Deals im Handel auf einem mittleren, stabilen Niveau. Allerdings handelte es sich bei einem Großteil der dokumentierten Transaktionen um solche im Klein- und Kleinstbereich. Transaktionen in halbwegs relevanten Größenordnungen bzw. mit Beteiligung marktrelevanter Spieler waren zunehmend selten und ließen sich vor allem den folgenden Kategorien zuordnen: Selektive und meist kleinere Zukäufe in fragmentierten Marktsegmenten, Investitionen und Management Buyouts im Zuge einer (drohenden) Insolvenz sowie die vereinzelte Veränderung eines großen Ankerinvestors. Klassische Wachstumsinvestitionen durch Finanzinvestoren fanden zuletzt kaum noch statt.
Gründe für die Zurückhaltung der Investoren lagen vor allem in den zuletzt oftmals zu geringen Wachstumsaussichten: In weitgehend gesättigten Konsumentenmärkten fiel es den großen und erfolgreichen Marktführern im Handel merklich schwer noch einmal signifikant zusätzliches Wachstum zu generieren. Bei weitgehender Ausdistribution und anhaltender Kanalverschiebung kommen zudem die früher gängigen Hebel „Filialexpansion“ und „Internationalisierung“ an ihre Grenzen. Der Fokus vieler Händler lag damit zuletzt häufiger auf Qualitätstausch, dem Aufbau echter Omni-Channel-Fähigkeiten und Ergebnissicherung statt auf steilem Umsatzwachstum. Den anspruchsvollen Wachstumsanforderungen von Private Equity Investoren konnte der Handel damit kaum noch gerecht werden. Hinzu kamen Bedenken der potenziellen Investoren hinsichtlich der bekannten Herausforderungen rund um Kanalshift, Überangebot an Fläche und Zyklizität des Handelsgeschäfts.
Trotz der seit Jahren boomenden Private Equity Branche war das rückläufige Interesse am Handel damit wenig verwunderlich. Das geringe verbliebene Restinteresse der Investoren beschränkte sich (wenn überhaupt) auf noch bezahlbare Online-Pureplays und handelsnahe Consumer-Investitionen.
Krise mit Chancen
Die Verwerfungen durch Corona scheinen das Schicksal des Einzelhandels nun vollends zu besiegeln und tragen nicht gerade zu einem Attraktivitätsschub aus Investorensicht bei. Oder etwa doch?
Sicherlich bleiben einige Grundherausforderungen im Handel auch in bzw. nach der Krise bestehen. Aber die Krise erzeugt bzw. beschleunigt auch signifikanten Strukturwandel in Nachfrageverhalten und Angebotslandschaft, der wiederum interessante Dynamik für Investments bieten kann. Und zwar jenseits des Arguments günstiger Kaufpreise. Vielmehr eröffnen sich in ausgewählten Marktsegmenten wieder echte Wachstumsperspektiven.
Neue Wachstumssegmente: Im Zuge von COVID-19 werden viele Konsumenten ihre Konsumpräferenzen überdenken und ihr Verhalten langfristig anpassen – gerade angesichts der erwarteten Langfristigkeit veränderter Lebensumstände bis zur flächendeckenden Verfügbarkeit eines Impfstoffs. Mögliche naheliegende Profiteure sind beispielweise alle Kategorien, die zum persönlichen Wohlergehen und dem „Achten auf sich und die Familie“ beitragen – im Beispiel wären dies Anbieter aus den Bereichen Gesundheit, Wellness, Pflege, Fitness, Sport oder Self-Care. Viele dieser Trends sind nicht komplett neu, aber die voraussichtlich noch länger andauernden veränderten Lebensumstände erzeugen hier noch einmal zusätzlich Nachfrage. Dazu sind einige der Marktsegmente zum Teil noch kleinteilig und unkonsolidiert – beides Voraussetzungen für lohnende Investmentüberlegungen.
Beschleunigte Konsolidierung: Der erwartete Shake-out in der Handelslandschaft und das Straucheln vieler Marktteilnehmer wird in vielen Subbranchen zu weiterer Konsolidierung führen oder diese beschleunigen. Dies gilt zum einen für Segmente mit einer noch hohen Anzahl kleiner unabhängiger Händler, die in Vorkrisenzeiten aufgrund von weitgehend stabilen Marktgegebenheiten oder der Organisation über Verbundgruppen Ihre Marktpräsenz behauptet haben. Zum anderen kann es durch den Austritt großer Spieler auch zu größeren Umverteilungen von Fläche und Marktanteilen kommen – vergleichbar mit den Effekten, die nach den Insolvenzen von z.B. Praktiker oder Schlecker in den jeweiligen Kategorien zu beobachten waren. Selbst für große Marktführer sind damit, anders als vor der Krise, noch einmal deutliche Wachstumsschritte möglich.
Nachhaltiger Online-Schub: E-Commerce bekommt durch Corona kategorieübergreifend noch einmal zusätzlichen Aufwind. Besonders interessant sind dabei diejenigen Kategorien, die sich bisher im E-Commerce vergleichsweise schwergetan haben. Hier entstehen neue Wachstumsmöglichkeiten, die weniger stark schon durch die etablierten großen Online-Plattformen vorbelegt sind. In einigen hochfrequenten Sortimenten wird sich zudem zeigen, inwieweit Multi-Channel am Ende das gewinnende Modell sein wird. Gut aufgestellte Multichannel-Spieler in diesen Bereichen wären daher ebenfalls Investitionsüberlegungen wert.
Für Finanzinvestoren könnte es sich also lohnen, die weiteren Entwicklungen im Handel mit neuer Offenheit zu verfolgen und die Chancen des Strukturwandels zu bewerten. Die Chancen auf neue Marktdynamiken, die wiederum neue Wachstumsperspektiven im Einzelhandel treiben, sind zumindest klar gestiegen.
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