Themen Deep Dive 3
Bestandsführung und Bedarfsplanung – Für alle, die noch mehr wollen
Rückblick Themen Deep Dive 2: Fulfillment – Basis für Effizienz und Profitabilität
Im zweiten Fulfillment-Deep-Dive haben wir die Notwendigkeit einer anbieterübergreifenden Kollaboration herausgearbeitet. Nur so werden viele Händler zukünftige Lieferversprechen in Metropolregionen profitabel erfüllen können. So sehr es ein logischer und effektiver Anknüpfungspunkt ist, die letzte Meile durch ein gemeinsames Fulfillment zu ergänzen, so konsequent – aber auch gewagt – ist der nächste Schritt: die Integration von Beständen und Instrumenten zur Nachfrageplanung.
Geteilte Risiken sind doppelte Chancen
Die Grundidee unseres Metropolitan-Commerce-Ansatzes ist klar: Einzelne Händler können nur dann mit den „Online-Pacemakern“ mithalten, wenn sie sich zusammentun und den Kunden ein vergleichbares Serviceversprechen bieten. Dies erfordert ein großes gemeinsames Commitment in der Liefer- und Fulfillment-Infrastruktur.
Doch ein viel tiefgreifenderes Commitment entsteht, wenn aus dem physisch gemeinsam gelagerten Warenbestand auch ein faktisch gemeinsamer logischer und zugriffsoffener Bestand wird. Dieser Schritt ist ohne Frage ein massiver Eingriff in die individuelle Händler-DNA und Kernkompetenz – er bietet jedoch auch enorme Effizienzhebel. Die Summierung von dezentralen Einzelbeständen der Kooperationspartner, die jeweils eigene Minimumgrenzen einhalten müssen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, führt unweigerlich zu höheren Gesamtbeständen.
Doch damit solch ein Modell nachhaltig funktionieren kann, muss nicht nur so einiges operativ entwickelt und vorgedacht werden, sondern auch genau überlegt werden, welche Effekte mit welchen Partnerprofilen in einem gemeinsamen Ökosystem wie realisiert werden. Dann gilt es, einen klaren Fahrplan in die gemeinsame Zukunft des Metropolitan Commerce aufzustellen:

Gemeinsame Bestände sind bessere Bestände
Das Endergebnis ist klar: Partner würden sich demnach nicht nur das Fulfillment und die letzte Meile “teilen”, sondern auch mehr oder minder große Teile des Bestands. Dadurch könnten die Risiko- und Sicherheitsbestände in den einzelnen Lägern und Hubs gemeinsam reduziert werden, wodurch jeder Partner Einkaufsvolumina einspart und die Kapitalbindung reduziert. Weiterhin könnten Angebots- und Nachfrageschwankungen gemeinsam ausgeglichen werden. Dies kann insbesondere in Zeiten hoher Volatilität z.B. in Zeiten der aktuellen Corona-Krise von hohem Wert sein.
Allerdings erfordert eine solche Partnerschaft ein hohes Maß an Transparenz und Vertrauen zwischen den Akteuren, was so bis heute noch nicht existiert und erst aufgebaut werden muss. Dazu zählt vor allem das Aufstellen und Einhalten klarer Regeln, die eine faire Verteilung von Chancen und Risiken oder auch die Vermeidung von Fehlverhalten sicherstellen.
Schwierig wird es jedoch, wenn Nachfragespitzen auf Einzelprodukten auftreten. Wer kann hier vom möglicherweise zu geringen Präsenzbestand profitieren? Wessen Kundennachfrage läuft ins Leere? Verstärkt wird dieser Effekt noch, wenn diese Nachfragespitzen z.B. durch werbliche Maßnahmen eines einzelnen Partners induziert sind, diese aber nicht durch eine frühzeitige Bestandserhöhung flankiert wurden.
Gemeinsame Planung ist das Tüpfelchen auf dem i
Diese Überlegung zeigt deutlich, dass eine reine Nachschublogik im kollaborativen Fulfillment aus einem gemeinsamen Bestand zu kurz greift. Eine gemeinsame Planung und darauf aufbauende Bestandssteuerung sind notwendig. In Zeiten immer schneller werdender Aktions- und Reaktionszyklen insbesondere im Online-Kanal ist dies eine Herausforderung. Doch wenn Bestandsreservierungen, Quotas und andere Methoden die Synergien des gemeinsamen Bestandes nicht wieder zunichtemachen sollen, kommt man ohne in der Planung verankerte Allokationsprinzipien nicht weiter.
Das Schwesterchen dieser gemeinsamen Planung ist dann die Pönale. Wie wird das Risiko einer Planverfehlung nach „oben“ mit resultierenden Verfügbarkeitslücken für die Partner oder nach „unten“ mit Abschriftenbedarf auf die Partner verteilt? Welche Anreize gibt es für faires Verhalten? Angesichts dieser Komplexitäten liegt es wohl gerade in der Anfangsphase nah, gemeinsame Bestände lediglich für vergleichsweise langsam drehende Artikel des täglichen Bedarfs vorzusehen – vom wirklichen Long-tail des Angebots sei an dieser Stelle nicht gesprochen, denn diese Bestandsvolumina dezentral zu multiplizieren wird auch in gemeinsamen Strukturen meist weder finanziell noch logistisch sinnvoll abbildbar sein.
Und hier bewegen wir uns noch in der Welt der operativen Herausforderungen. Die weiteren kaufmännischen und steuerlichen Fragestellungen wollen wir aber an dieser Stelle kurz ausklammern. Hier bedarf es eines robusten Transaktionsmodells, das alle Leistungsbeziehungen und Verantwortlichkeiten klar regelt.
Vom Händler zum Nachfrage-Entwickler
Doch es gilt, nicht nur besorgt auf die Herausforderungen zu blicken, sondern auch noch die weiteren Potenziale dieses Modells zu erkennen: Ist eine solch komplexe Bestandstransfer-Logik zwischen den Händlern wirklich zielführend? Ließen sich auch gemeinsame Einkaufsvorteile generieren? Gilt es nicht vielmehr, auch die Markenhersteller in diese Metropolitan-Commerce-Ökosysteme einzubinden? Eine Übertragung klassischer Depotmodelle ließe sich evtl. auf solche „Multi-Nutzer-Szenarien“ übertragen. So würde das Pfannenset oder der Fernseher im gemeinsam bewirtschafteten Metropol-Lager so lange dem Marken-Partner gehören, bis eine Kundentransaktion erfolgt. Erst dann erfolgt ein logischer Bestandsübergang zum „Händler“, der die Kundennachfrage realisiert hat.
Dies bedeutet aber massive Veränderungen für die Geschäftsmodelle (und auch das Selbstverständnis) von Händlern und Herstellern. Eine spannende Transformation für die Handels- und Konsumgüter-Industrie steht uns bevor, wenn sich Unternehmen nicht leichtfertig dem zunehmenden Einfluss einiger weniger Plattformen ergeben wollen.
Ob David zusammen mit seinen neuen Freunden dem großen Goliath auf Augenhöhe begegnen kann, wird sich zeigen.
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