Themen Deep Dive 2
Fulfillment – Basis für Effizienz und Profitabilität
Rückblick Themen Deep Dive 1: Die “letzte Meile” – der Schlüssel zum direkten Konsumentenzugang
Im ersten Themen Deep Dive dieser Serie haben wir festgestellt, dass die Kontrolle der letzten Meile mehr und mehr über den Erfolg bei den Konsumenten entscheiden wird – und dass kaum ein deutscher Händler die von Online-Riesen gesetzten Lieferstandards profitabel replizieren kann. Doch die letzte Meile ist nur der Anfang: in unserem zweiten Teil legen wir den Fokus auf die Fulfillment-Implikationen dieses neuen Metropolitan Commerce-Ansatzes.
Die Optimierung der letzten Meile ist nur der Anfang
Wollen Händler die sich entwickelnde Kundenerwartung nach „unmittelbarer“ Belieferung erfüllen, müssen sie ihre Kunden flächendeckend und jederzeit mit Ware versorgen können. Die dafür notwendigen logistischen Voraussetzungen fehlen aber heute in der Regel. Für die effiziente Erfüllung eines solchen Lieferversprechens wäre eine landesweite Infrastruktur von Regional-Lägern oder geeigneten Logistik-Hubs die Voraussetzung – denn je nach Warengruppe und Margenstruktur verbietet sich bei genauerer Betrachtung zumindest mittelfristig die Nutzung möglicherweise vorhandener Filialstrukturen zum „in-store picking“.
Die Optimierung der letzten Meile gemeinsam mit Partnern gibt dem Händler zwar den Schlüssel zum Konsumenten in die Hand – diesen Konsumenten jedoch profitabel zu bedienen, benötigt mehr als nur eine Fahrzeugflotte und Tourenplanung. Es braucht Ware!
Egal, ob die letzte Meile durch Warenzubringer, Rundtouren oder Abholaktionen gefüttert wird, eine Lieferkette, die sich von vornherein schon mit der richtigen Ware am richtigen Standort speist, wird immer überlegen sein. Diese Mammutaufgabe ist jedoch mit hohen Investitionen in Infrastruktur und Bestand verbunden – und wird für viele einzelne Händler nicht sinnvoll abbildbar sein. Steht David im Kampf gegen die Goliaths des eCommerce damit bereits auf verlorenem Posten?
“Echte” Effizienz wird durch gemeinsames Fulfillment erreicht
Der Aufbau einer flächendeckenden Hub-Struktur war bisher fast ausschließlich Teil der Strategie der globalen Online-Riesen. Unserer Argumentation folgend kann, die die Lösung nur in Partnerschaften liegen, die eine gemeinsame Nutzung von dezentralen Lager- und Logistikstrukturen ermöglichen. Das Ziel ist, Kosten und Risiken zu teilen.
Die Kernfragestellung, um dies zum Erfolg zu führen, ist klar: Wo starte ich meine letzte Meile bzw. wie kommt die Ware dorthin, wo man sie benötigt, um sie in einer Metropolregion effizient zu verteilen? Grundsätzlich gibt es hierfür drei Optionen:
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Der Milchmann: Hier wird eine Rundtour gefahren - z.B. das “Milchmannprinzip” wie es Picnic aktuell praktiziert. Sprich, man fährt in klar definierten Intervallen die Hubs der Partner ab, sammelt die Ware ein und verteilt diese am besten im gleichen Lauf wieder.
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Der Shuttle: Hier wird die Ware von den individuellen Verteilzentren oder Lägern / Filialen der Partner zu einem gemeinsamen Abfahrtspunkt gefahren, von wo die Endkunden-Tour startet.
- Das gemeinsame Fulfillment: Hier wird auf eine dedizierte Infrastruktur gesetzt, die das Endkonsumentenlieferversprechen und die Sortimentsanforderungen der Partner bedienen kann. Hierzu können bestehende Strukturen genutzt (oder umgenutzt) werden oder neue geschaffen werden.
Auch wenn theoretisch alle drei Optionen denkbar sind – und in Anlaufphasen evtl. auch sinnvoll sein können – bietet nur die dritte das Potenzial, das Leistungsversprechen der Partner maximal effizient abzubilden. Gleichzeitig erfordert dieser Ansatz jedoch auch ein hohes Maß an Vertrauen (oder sehr genauen Regeln) zwischen den Partnern.
Ein großer Schritt in die Zukunft gelingt nur auf neuen Pfaden
Eine große Herausforderung bei solchen Partnerschaften ist der Mangel an Erfahrungswerten. Nur die wenigsten Händler wissen, welche strategischen Fragestellungen bei einer so engen Verzahnung der eigenen Wertschöpfung mit Dritten zu klären sind. Aus unserer Erfahrung gibt es eine Reihe an Themen, über die sich die Kollaborationspartner klar werden müssen:
- Zielstellung der Zusammenarbeit –nur wenn Klarheit über die morgen notwendige eigene Leistungsfähigkeit besteht, können die richtigen Partner gefunden werden und ein weiteres Ausgestalten der Zusammenarbeit erfolgen
- Auswahlkriterien für die richtigen Partner auf Basis von Profitabilität und Effizienz einer potenziellen Zusammenarbeit – dabei sollte aber insbesondere auch auf künftige Erfolgshebel geachtet werden, denn kleine Einsparungen können möglicherweise durch Verluste an Flexibilität oder Differenzierung teuer bezahlt sein
- Technische Integration – die hohen Anforderungen an reibungslose Prozesse und Effizienz in der Leistungserbringung erfordern state-of-the-art Systeme und Schnittstellen - welches Bestandssystem oder ob überhaupt ein bestehendes dies leisten kann, muss von Anfang an bedacht werden
- Operative Exzellenz – es muss Klarheit über eine potenzielle (Um-)Nutzung / Erweiterung / Auflösung eingebrachter Infrastrukturen bzw. hinsichtlich eines notwendigen Neuaufbaus bestehen, um finanzielle Auswirkungen beurteilen zu können
- Allokation der Vorteile der Zusammenarbeit – je nach Anteil der Einbringung (Kapital, Infrastruktur, Technologie, Fähigkeiten etc.), ist zu klären, wie potenzielle Erträge und möglicherweise begrenzte Kapazitäten auf die Partner verteilt werden
- Fristigkeit der Zusammenarbeit - befristet vs. potenziell langfristig definiert den Horizont wie auch die Integrations- und Investitionstiefe, die sich abbilden lässt
- Umgang mit Konflikten – aufgrund der Tiefe und Komplexität der Zusammenarbeit in absoluten Schlüsselbereichen der Händlerwertschöpfung (z.B. Allokation in Phasen der Unter- oder Überauslastung) müssen Schlichtungs- und Governance-Strukturen robust aufgestellt werden
Diese tiefgreifenden und investitionsintensiven Veränderungen des Logistik-Setups sollten in Anbetracht der Wettbewerbssituation fester Bestandteil der langfristigen Strategie interessierter Händler sein. Doch auch kurzfristig können Allianzen helfen, Erfahrungswerte zu sammeln und sich den von Online-Riesen gesetzten Maßstäben und in der Krise expliziter gewordenen Kundenerwartungen anzunähern.
Partnerschaften wie diese erfordern ein radikales Umdenken der Unternehmen, werden jedoch langfristig über den Ausgang des Kampfes von David gegen Goliath entscheiden.
Der nächste Schritt
Der Weg zu einer effizienten Aufstellung des eigenen Geschäfts mit Blick auf Metropolitan Commerce hört nicht mit einem neuen dezentralen Fulfillment in den Metropolregionen auf. Sobald der erste und zweite Schritt gegangen wurden, drängen sich Fragen zu einer gemeinsamen Nachfrage- und Bestandsoptimierungen sowie der dafür möglicherweise notwendigen integrierten Planung auf.
Lesen sie hierzu auch unsere folgenden und bisher schon erschienenen Artikel!
Intro: Metropolitan Commerce nach der Corona-Krise – nur gemeinsam ist der Handel stark
Deep dive 1: “Last Mile – Schlüssel zum direkten Konsumentenzugang“
Deep dive 3:“Bestandsführung und Bedarfsplanung – Für alle, die noch mehr wollen”
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