Die Krise als nachhaltiger Einschnitt und gleichzeitiger Katalysator des längst überfälligen Strukturwandels
Auch schon vor der Corona-Krise sah sich die Fashionbranche mit umfangreichen Herausforderungen konfrontiert. Die Auswirkungen eines übersättigten Marktes gewinnen in Krisenzeiten nun zusätzliche Brisanz und legen den längst überfälligen Strukturwandel hinsichtlich eines zu heiß gelaufenen Systems mit hohen Warenüberschüssen und einer nicht nachhaltigen Supply Chain schonungslos offen. Zusätzlich stehen traditionell erfolgreiche Geschäftsmodelle wie beispielsweise der Wholesale-Vertrieb über große Bekleidungshändler, Warenhäuser oder große Textiliten am Ende ihres Lebenszyklus und brechen somit als Absatzkanal weg. Somit stellen sich Grundsatzfragen, z. B. hinsichtlich der Überlebensfähigkeit von mehrstufigen Wertschöpfungsmodellen und der potenziellen Rolle von Modeherstellern als Zulieferer für Online-(Fashion-)Plattformen oder als vertikal eigenständige Marke.
In der aktuellen Krisensituation spielen zusätzliche, teilweise durch Corona verstärkte Treiber eine wichtige Rolle: von einer übergreifenden Veränderung des Kundenverhaltens in Richtung Nachhaltigkeit und Regionalität bis hin zu einer starken Nachfragebeschleunigung und ersten Anzeichen eines nachhaltig verstärkten Online-Shifts, der den innerstädtischen Strukturwandel bzw. das Ladensterben zusätzlich forciert.
Unsere Modellierungen gehen davon aus, dass diese Sondersituation noch eine Weile anhalten und der anschließende Hochlauf langsam und volatil sein wird. Bis Ende des Jahres rechnen wir mit einem Einbruch der deutschen Modebranche von ca. 25 %. Weitere 12 Monate wird es dauern, bis sich der Markt Ende 2021 wieder halbwegs auf Vorkrisenniveau – bei einer verschobenen Kanal- und Genregewichtung – einpendeln wird (Ergebnisse des EY-Parthenon-Marktmodells). Dabei bleiben die Auswirkungen der leicht zurückgenommenen Mehrwertsteuer für die zweite Jahreshälfte noch offen. Hinzu kommt, dass trotz schrittweiser Wiedereröffnungen und Hochfahren der Innenstädte die Einkaufslaune der Konsumenten aufgrund von Sicherheitsbedenken gedämpft ist: Laut Corona-Handelstracker von EY-Parthenon und Innofact ist der Grund hierfür nicht, dass die Maßnahmen und das Konzept der Geschäfte zum Schutz vor dem Virus als unzureichend angesehen werden, sondern primär eine allgemeine Verunsicherung aufgrund der gesundheitlichen Risiken sowie das fehlende Einhalten der Sicherheitsmaßnahmen anderer Kunden.
In dieser Gemengelage ergeben sich für Unternehmen zwei große Herausforderungen: Neben der primären Herausforderung, das Überleben in einer so noch nie da gewesenen Situation zu sichern (NOW), stellt sich für Spieler, die überlebt haben oder mit Blessuren davonkommen werden, die grundsätzliche Frage, wie das eigene Geschäft in der Hochlaufphase (NEXT) bzw. in einem „new normal” (BEYOND) aussehen muss. Somit eröffnet die Krise die Notwendigkeit, aber auch die Chance, Altbekanntes radikal zu überdenken und neu zu gestalten. Denn eines ist sicher: Eine Strategie, die die Rückkehr zu dem Zustand, „wie es einmal war”, unterstellt, wird in dieser neuen Realität nicht erfolgreich sein können.
Stabilisierung im NEXT bei gleichzeitig richtiger Weichenstellung für das BEYOND
Konkrete Überlegungen darüber, wie die Zukunft aussehen könnte bzw. welche Optionen es Fashion-Unternehmen ermöglichen, gestärkt und zukunftsfähig aus der Krise hervorzugehen, kann man in zwei Phasen abgrenzen:
- In den unmittelbaren nächsten Monaten des NEXT wird eine Mischung aus akuter Absicherung, Stabilisierung und Fortführungsfähigkeit nötig sein – Aktivitäten, die teilweise bereits im NOW angegangen wurden und nun weitergeführt werden sollten. Insbesondere die Liquiditätslage wird bei den meisten Modehändlern angespannt bleiben, da Konsumenten nach wie vor sehr zurückhaltend sind, es lokal jederzeit zu erneuten Lockdowns kommen kann und Unternehmen in ihrer Verzweiflung den Ausweg in Rabattschlachten suchen. Dabei ist es aber essenziell, gleichzeitig die längerfristige Perspektive des BEYOND zu berücksichtigen, um sich mit den in den nächsten 18 Monaten getroffenen Entscheidungen zukünftig benötigte und sinnvolle Optionen nicht zu verbauen. Der Schlüssel liegt in der richtigen Balance zwischen dem noch krisenbedingt Notwendigen und dem postkrisenorientierten Möglichen.
- In der anschließenden Phase des BEYOND haben sich die Märkte auf ein langfristig neues Niveau eingependelt. Während sich im Konsumentenverhalten und in der Gesellschaft eine neue Form von „Normalität und Realität” zu etablieren beginnt, gewinnen Themen rund um die langfristig richtige, werthaltige und zukunftsfähige Ausrichtung des Geschäftsmodells an Relevanz. Diese Geschäftsmodelle werden unter anderem eine Anpassung an das nachhaltig veränderte Kundenverhalten, eine höhere Flexibilisierung und eine größere Resilienz in den Supply Chains beinhalten. Viele dieser Themen erfordern substanzielles Umdenken und werden mit großer Sicherheit stärkere Eingriffe in das Geschäftsmodell entlang aller Wertschöpfungsbereiche des Unternehmens nach sich ziehen. Denn der Kampf um Marktanteile und um die Gunst der Konsumenten wird in dieser unter Hochdruck stehenden Branche noch anspruchsvoller als bisher – eine größere Umbau- bzw. Transformationsaufgabe steht in der Modebranche an.
Um mehr über die Auswirkungen im NEXT und BEYOND für verschiedene Unternehmensbereiche zu erfahren, lesen Sie auch unsere Deep Dives zu den folgenden Themen:
Teil 1 beschäftigt sich mit Wachstums- und Geschäftsmodellen, Sortiment und Einkauf sowie Sourcing und Supply Chain
Teil 2 befasst sich mit den Auswirkungen auf CRM und Kundenbindung, Organisation und Governance sowie die finanzielle Stabilität
Die goldenen Regeln für eine erfolgreiche Transformation
Ein Unternehmen nachhaltig zu verändern ist kein Kinderspiel; viele Versuche schlagen fehl. Dabei zeigt unsere Erfahrung, dass nicht etwa zu ehrgeizig angesetzte Transformationsvorhaben der primäre Grund sind, sondern dass vielmehr essenzielle Kernprinzipien für eine erfolgreiche Transformation vernachlässigt wurden. Dazu gehören die folgenden:
- Ausarbeitung eines klaren kurz-, mittel- und langfristigen Zielbildes
- klare, stetige interne und externe Kommunikation
- frühe Einbeziehung diverser Stakeholder (Lieferanten, Mitarbeiter, Gewerkschaften etc.)
- Notwendigkeit der Veränderung der Prozesse bis hin zur grundlegenden Transformation des Geschäftsmodells, beispielsweise zur Vereinfachung der Komplexität – ein pauschales „Kosten runter” reicht oft nicht aus
- klarer Bezug von Maßnahmen und Effekten (beispielsweise Einfluss auf die GuV, Investitionen, Restrukturierungskosten sowie zusätzlicher Finanzierungsbedarf)
- klare Definition von Zuständigkeiten und Trennung des Tagesgeschäfts vom Transformationsprojekt
- realistische Planung, beispielsweise beim Zeithorizont der Maßnahmenumsetzung
kritische Prüfung der Transformationskompetenz des aktuellen Managements und ggf. zusätzliche Einbeziehung externerTransformationserfahrung
Der Weg nach vorn
Die Veränderung und Transformation der Modewelt und ihrer Geschäftsmodelle ist in vollem Gange. Gerade in der momentan sehr volatilen Lage, die einerseits durch immer mehr Lockerungen, aber gleichzeitig auch durch die über uns schwebende Gefahr eines erneuten Lockdowns geprägt ist, gilt es, auf die aufgeworfenen Fragen möglichst schnell Antworten zu finden. Die aktuelle Krise stellt für Modeunternehmen ihre Existenz infrage, birgt jedoch auch die Chance, den längst überfälligen Strukturwandel zu vollziehen und nach einer Art „Neustart“ gestärkt im BEYOND zu bestehen.
Lesen sie hierzu auch unsere weiterführenden Artikel, in denen wir einzelne Aspekte im Detail betrachten!
Deep Dive 1: Wachstums- und Geschäftsmodell, Sortiment und Einkauf, Sourcing und Supply Chain
Deep Dive 2: CRM und Kundenbindung, Organisation und Governance, Finanzielle Stabilität
Sprechen Sie uns an - Wir unterstützen Sie in unsicheren Zeiten